Der Artikel zeigt sehr schön, wie es unter der sich ahnungslos gebenden Oberfläche der exklusiven Treue rumort, und er lässt einmal mehr erahnen, dass das Modell der lebenslangen sexuellen Treue eine heftig drängende gesellschaftliche Entwicklung verhindert.
Nun kann man - wie es auch der Artikel tut - die Lage so sehen, dass irgendetwas falsch läuft in unseren Beziehungen, dass sozusagen mangelhafte Beziehungsfähigkeit der Grund sei für das Missverhältnis zwischen dem hochgehaltenen Ideal und der Realität. Das führt dann zu so sinnreichen Erkenntnissen, wie dass die Frau schuld sei, wenn der Mann fremd geht, und umgekehrt. Die interessante Frage aber, nämlich warum es so viele tun und dennoch so wenig darüber geredet wird, wird immer noch lieber nicht gestellt. Es könnte ja sein, dass der Mensch generell nicht so sehr monogam ist, wie ihn die Promoter der herrschenden Moralvorstellungen gerne hätten.
Es gibt aber nicht wenige, die nicht einsehen, warum ihre polygame Natur zu bändigen sei, die nichts davon halten, nach Schuld und Fehlern zu suchen, sondern aktiv neue, dem aufgeklärten, sich nicht unreflektiert für monogam haltenden Menschen entsprechende Alternativen ersinnen. In Beziehungen, die von Anfang an von der Einforderung der gegenseitigen sexuellen Treue absehen, kann plötzlich sowohl das Bedürfnis nach Verbindlichkeit wie auch das Bedürfnis nach (sexueller) Abwechslung offen und verantwortungsvoll gelebt werden, ohne dass daraus besondere Probleme entstünden. Anders als beim heimlichen "Fremdgehen", wo fast zwangsläufig Krach, Trennung, Scheidung und der hinlänglich bekannte Zirkus folgen, kann auf diese Weise eine (sexuelle) Begegnung ausserhalb oder eine neue Beziehung allen Beteiligten Anlass zur Freude werden.
Menschen, welche die neuen Qualitäten solcher von Offenheit und Vertrauen geprägter Beziehungen erahnen oder kennen, treffen sich unter dem amerikanisch geprägten Begriff
Polyamory.
Chutney - 23. Apr, 07:47